Lasagne à la Mr. Robot – Zukunftsvision oder Realität?

5. Dezember 2024

Autorin: Kim Pittet

Der CYBATHLON gibt Hoffnung, dass technologische Unterstützung für Menschen mit Behinderungen bald realer wird. Doch wie viel Hilfeleistung ist machbar, und wann kommt der Roboter ins Straucheln? Ein augenzwinkernder Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen der innovativen Assistenten für Menschen mit Behinderungen.

Autorin des Artikels: Kim Pittet.

Was können Menschen mit Behinderungen von technologischer Assistenz erwarten? Diese Frage begleitete mich rund um den CYBATHLON. Sie kam während meiner Zugfahrt von Bern nach Zürich auf. In Begleitung meiner Assistenzperson schlürfte ich einen Latte Macchiato und verwöhnte meinen Magen mit einem noch lauwarmen Croissant. Was für viele auf einer längeren Zugfahrt normal scheint, ist für mich nur möglich, wenn mich eine Assistenzperson begleitet. Sie kann mir den Kaffee tragen, den Strohhalm aus der Tasche grübeln und das Croissant in mundgerechte Stücke teilen.

Doch könnte diese menschliche Hilfeleistung bald durch einen Assistenzroboter ersetzt werden? Was lange Zeit für mich ein Wunschdenken war, könnte vielleicht durch Innovationen, wie sie am CYBATHLON präsentiert wurden, realer werden.

Ein sprichwörtlicher Türöffner

In der SWISS Arena angekommen, konnte ich es kaum erwarten, Wettkämpfe aus allen möglichen Disziplinen mitzuerleben. Ob ein Sehassistenz-Rennen, ein Rennen mit Gedankensteuerung oder ein Rollstuhl-Rennen - alle acht Disziplinen am CYBATHLON sind auf ihre Weise faszinierend. Mein klarer Favorit war das Assistenzroboter-Rennen. Dabei mussten die Assistenzroboter Gewürze aus dem Schrank auf den Tisch stellen, den Briefkasten leeren oder eine Türe öffnen und schliessen. Schnell wurde mir aber bewusst: Der Roboter wird nicht heute und auch nicht morgen mein Assistenzteam ersetzen.

Einige der jahrelang ausgearbeiteten Entwicklungen scheitern am Wettkampf teils an alltäglichen Aufgaben wie dem Geschirr ausräumen. Dass diese Roboter mich als Mensch transferieren oder mich im Bett lagern können, rückt in diesem Moment in die weite Zukunft. Ich spüre einen Hauch von Enttäuschung – zu schön wäre die Vorstellung, bald nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Auch wenn mich ein unglaublich tolles Assistenzteam durch den Alltag begleitet, elektrisiert mich der Gedanke an ein autonomes Leben.

Doch schaue ich genauer hin, gibt es eigentlich keinen allzu grossen Grund zur Enttäuschung. Denn was Assistenzroboter bereits jetzt leisten können, wird Menschen mit körperlichen Behinderungen in vielerlei Hinsicht im Alltag unterstützen. Denn manchmal sind es vor allem Alltagsmomente, die einem bewusst machen, wie abhängig man von externen Hilfeleistungen ist. Man stelle sich schon nur vor, wie dankbar man um einen Roboterarm wäre, wenn einem das Handy kurz vor dem Bewerbungsgespräch runterfällt und man sich davor die Adresse nicht gemerkt hatte. Per Knopfdruck könnte der Roboter das Handy vom Boden hochheben.

Von Können bis Müssen

Angenommen, Assistenzroboter würden bereits jetzt eingesetzt werden. Für einen alltäglichen Gebrauch müssten sie bestimmte Anforderungen erfüllen, andere Funktionen sehe ich eher als Goodie. So wäre der Roboter bspw. auf sozialer Ebene eine willkommene Abwechslung. Wo viele Vereinsamung durch den technologischen Fortschritt befürchten, sehe ich für mich neue Chancen. Der Roboter ist nicht launisch, dafür sehr genügsam. Was ich hier mit einem Augenzwinkern andeuten will: Ich kann mit einem Roboter an meiner Seite bewusst entscheiden, wann ich ihn den sozialen Interaktionen vorziehen will. Als Person, die konstant auf Hilfeleistungen angewiesen ist, wäre das eine bisher unbekannte Entscheidungsfreiheit. Nach einem anstrengenden Tag wäre ich schon oft froh gewesen, wenn ich mir einfach zu Hause von Mr. Robot stumm eine Lasagne hätte zubereiten lassen können. In der Rolle als Assistenz-Arbeitgeberin hingegen möchte ich mich mit meinem Team austauschen und ihnen  freundlich und wertschätzend begegnen.

Um Mr. Robot nicht nur für kulinarische Highlights einzuspannen, ist dessen zuverlässige Funktionalität das A und O. Bleiben wir beim Beispiel des Bewerbungsgesprächs: Ich möchte kurz davor noch einen Schluck meines Früchtetees trinken. Der Assistenzroboter leert den brühend heissen Tee jedoch über meine weisse Hose – Sie sehen schon, was ich meine. Das hätte auch gesundheitliche Risiken. Diese müssen bei einer tatsächlichen Anwendung im Alltag ausgeschlossen werden können, damit ich ihn sorglos einspannen könnte.

Lebensqualität in der Zukunft

Was können also Menschen mit Behinderungen von technologischer Assistenz erwarten? Vieles! Assistenzroboter können für sie bereits jetzt, aber vor allem in Zukunft, noch so banal wirkende Kleinigkeiten enorm erleichtern. Das bedeutet für sie Lebensqualität und sollte nicht wegen der Frage der finanziellen Mittel oder administrativen Bürokratien relativiert werden.

Der erste elektrische Rollstuhl wurde in den 1950er Jahren entwickelt. Bis dahin schien eine solche Erfindung Zukunftsmusik. Der CYBATHLON hat gezeigt, wie Mensch und Technik auf faszinierende Weise zusammenspielen können. Viele der Technologien sind vorhanden, sie müssen einfach weiter auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen spezialisiert werden. Geduld ist also gefragt. Aber es braucht noch mehr: Viele kleine Schritte in Wissenschaft, Technologie, Medizin, Politik und Gesellschaft ergeben insgesamt einen grossen (Fort-)Schritt. Richtung Abbau von Barrieren, hin zu einer gelebten Inklusion.

Über Kim Pittet

Kim Pittet ist eine vielseitig engagierte Journalistin, Moderatorin und Projekt­leiterin, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, durch Perspektiven­wechsel Verständnis und Inklusion zu fördern. Mittels Event-Moderationen, Podiums­diskussionen, Workshops und diversen Textbeiträgen trägt sie, geprägt von ihrer eigenen körperlichen Behinderung, zum Abbau von Barrieren und zur Sensibilisierung rund um die Themen Behinderungen und Diversität bei.

Nach einer Ausbildung zur betrieblichen Mentorin und einem Master in Kommunikationswissenschaft und Medienforschung hat sie sich auf die Themen Gesellschaft und Kultur spezialisiert.

Ihr journalistisches Schaffen erlaubt es ihr, neue Themen und persönliche Geschichten kennenzulernen und diese wertvollen Einsichten mit der Gesellschaft zu teilen. Pittet arbeitet als freie Journalistin und Moderatorin und unterstützt als Kommunikationsexpertin Inclusion Handicap, den politischen Dachverband der Behindertenorganisationen. Am CYBATHLON 2024 war sie als Content Creator und Journalistin für Biogen vor Ort.

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